Soft Skills und die Statuswippe

von Catherine Tenger | 26. Januar 2023

Beim Thema Soft Skills geht es im Kern immer um zwei Dinge: Wie trittst du auf und wie gehst du mit anderen um. Und das ist alles eine Frage der Perspektive – oder anders gesagt, des Kontexts und des Status. Mit Status ist hier nicht die gesellschaftliche Stellung gemeint, sondern die Haltung, die man gegenüber einer einzelnen Person, einer Gruppe oder einem Raum in einer bestimmten Situation einnimmt.

Ursprünglich kommt der Begriff aus dem Improvisationstheater. Und weil Theater immer auch aus dem Leben gegriffen ist, können Sie Statusverhalten jeden Tag in Ihrem eigenen Umfeld erleben und beobachten. Es sagt etwas darüber aus, wie viel Zeit und Raum man sich nimmt, wie laut oder leise und wie viel man spricht, wie gross die Gesten ausfallen, wieviel man bestimmen kann, ob man Blickkontakt hält oder ihm ausweicht etc.

Wenn eine Begegnung positiv verläuft – sei das mit einem Kunden, einer Mitarbeiterin, einem Kollegen oder einer Freundin – sind beide Gesprächspartner abwechselnd im nahe beieinanderliegenden Hoch- und Tiefstatus. Ein Beispiel: Sie haben eine Sitzung mit einer Kundin in Ihrem Unternehmen. Sie sind im Hochstatus, der Raum gehört Ihnen – Ihre Bewegungen sind grosszügig, Sie durchschreiten die Lobby grossflächig, um sie in Empfang zu nehmen. Sie führen zum Sitzungszimmer, bieten der Kundin einen Platz an, offerieren ihr etwas zu trinken. Sie fragen, Sie führen. Sie haben soweit die Regie. Dann möchten Sie von ihr wissen, was sie sich wünscht, was ihre Bedingungen für eine Zusammenarbeit sind und machen ihr dadurch ein Statusangebot. Sie nimmt an, indem sie sagt: „Wir brauchen einen Partner, der bis in zwei Jahren unseren Namen im Markt festigt. Können Sie das?“ Ihre Kundin hat sich dabei vielleicht vorgelehnt, die Ellbogen auf dem Tisch etwas ausgebreitet und die Hände locker gefaltet, blickt Sie wach, direkt und gespannt an. Jetzt hat sie vom Tiefstatus in den Hochstatus gewechselt. Und nun sind Sie wieder dran: Sie haben sich gut vorbereitet, wissen, was zu tun ist, erkennen Prioritäten und beginnen engagiert und begeistert mit Ihrer Präsentation. Sie sind jetzt auf der Statuswippe also wieder oben. Ihre Gesprächspartnerin nimmt dabei eine abwartende, aufmerksame Haltung ein und hört Ihnen interessiert zu. Sie sitzt auf der Wippe wieder unten.

Wenn es gut läuft, ist das Statusspiel kein Machtspiel. Ein Machtspiel findet nämlich nur dann statt, wenn sich beide Haltungen zu weit voneinander wegbewegen. Bin ich zu hoch oben, trete ich arrogant, dominierend, abwertend, bestimmend auf. Zu tief, dann trete ich unterwürfig, verkrampft, unsicher, devot auf. Nehmen wir dazu das Beispiel von vorhin: Ihr Kunde hätte sich nicht interessiert und aufgeschlossen vorgebeugt, sondern sich vielleicht langsam zurückgelehnt, den Arm über die Stuhllehne gelegt, den Kopf zur Seite geneigt und Sie direkt, mit einer erhobenen Augenbraue und einem unbescheidenen Lächeln angeschaut: „Wir brauchen einen Partner, der bis in zwei Jahren unseren Namen im Markt festigt. Können Sie das?“ Und was passiert dann? Sie werden vielleicht unsicher, nervös, rechtfertigend und unterwürfig. Oder Sie kontern ebenso arrogant und stehen vielleicht lässig auf, legen Ihre Hände auf die Rückenlehne Ihres Sessels, atmen betont langsam ein und aus und sagen, ebenfalls süffisant lächelnd: „Wir sind die erfolgreichste Agentur in der Branche, unsere Kundenliste liest sich wie das Who-is-Who der Privatwirtschaft – ich denke, wir kriegen das auch für Ihr Startup hin.“ Sie verstehen, was ich meine. Beide schaukeln sich in einen Hochstatus, der die Balance ins Wanken bringt. Das wird so auf lange Sicht kein gutes Kundengespräch, sondern ein Powergame. Macht oder auch nur das subjektive Gefühl von Macht ist eine erwiesenermassen schlechte Voraussetzung für die Perspektivenübernahme, d.h. der Fähigkeit, die Situation bzw. die Welt mit den Augen des anderen sehen zu können.

Was können Sie dann aber tun? Der Schlüssel liegt in Ihrem inneren Status. Wenn Sie innerlich gefestigt, überzeugt und gut vorbereitet sind, wenn Ihr Standpunkt für Sie selbst glasklar ist, dann haben Sie Selbstvertrauen. Sie sind also innerlich im Hochstatus und bleiben es während der gesamten Begegnung. Mit dieser Voraussetzung können Sie selbst entscheiden, wann Sie sich nach aussen hin durchsetzungsstark, voller Energie und mit Überzeugungskraft präsentieren. Aber Sie erkennen auch, wann es Sinn macht, sich zurückzunehmen, dem anderen Raum zu geben und den Hochsitz auf der Wippe Ihrem Gegenüber zu überlassen.

Hier ein paar Beispiele, wie Sie Ihrem inneren Hochstatus im Alltag bewusst Schub geben können:

Machen Sie sich mit der Umgebung vertraut. Je besser Sie einen Raum kennen, desto souveräner können Sie sich darin bewegen.

  • Sie müssen eine Präsentation halten? Stellen Sie sicher, dass Sie vor Ihrem Auftritt – wenn auch kurz – Zeit haben, sich am Ort umzusehen, den Raum zu spüren, sich Ihre Zuhörer vorzustellen (auch in den sprichwörtlichen Unterhosen, falls Sie zu Lampenfieber neigen), wie weit weg sie sitzen, wo Sie sich bewegen werden, wie es mit der Technik aussieht. Der Raum gehört dann Ihnen.
  • Sie haben eine Kundensitzung im eigenen Haus? Gehen Sie schon einmal in das Sitzungszimmer und legen Sie Ihre Unterlagen und Ihren Laptop dort ab, bevor Sie Ihren Gast an der Rezeption abholen. Das steigert Ihre Ausstrahlung und Ihren Status als empfangende Person.
  • Eine Sitzung, bei der Sie nicht die Gastgeber sind? Wenn Sie im Sitzungszimmer oder am Empfang warten müssen, bleiben Sie stehen, schauen Sie sich die Umgebung, die Auslagen, die Kunst an den Wänden an, wechseln Sie ein paar freundliche Worte mit dem Empfangspersonal. Ihre so entstehende Vertrautheit wird Ihnen Souveränität und mehr Lockerheit verleihen.
  • Sie laden jemanden ins Restaurant ein? Gehen Sie etwas früher hin, schauen Sie sich den Tisch an, stellen Sie sich der Servicefachkraft persönlich vor und fragen Sie sie auch nach ihrem Namen. Wenn Sie ihr dann noch sagen, dass Sie eine wichtige Einladung haben und ihr dankbar sind, wenn sie Ihnen dabei hilft, ein guter Gastgeber zu sein, erhalten Sie in den meisten Fällen so viel Rückendeckung, dass Sie sich komplett auf Ihren Gast konzentrieren können. So, als hätten Sie ihn zu sich nach Hause eingeladen.

Hier ein paar Beispiele, wie Sie mit Ihrem inneren Hochstatus situativ und vorübergehend den Hochsitz auf der Statuswippe abgeben können:

  • Falls Sie anderen Menschen gegenüber hierarchisch höher stehen, sagen Sie ihnen auch, wenn Sie etwas von ihnen gelernt haben.
  • Wenn jemand für ein Gespräch in Ihr Büro kommt, setzen Sie sich mit der Person an einen separaten Sitzungstisch, falls Sie einen haben, statt hinter Ihrem Schreibtisch „Audienz“ zu halten.
  • Bitten Sie Ihr Gegenüber um einen Gefallen, einen Rat, eine Meinung.
  • Nehmen Sie weniger Raum ein, sowohl physisch als auch akustisch.
  • Entschuldigen Sie sich, wenn Sie einen Fehler gemacht haben.
  • Lachen Sie über sich selbst.

Denken Sie immer daran, dass Sie auf der Statuswippe kleine Auf- und Ab-Bewegungen machen. Sie wissen ja noch, wie das damals war auf dem Spielplatz: Wenn Sie beim Schaukeln zu heftig und tief nach unten sausen, schleudern Sie Ihren Partner unter Umständen in unbeabsichtigte Höhen.

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